responsibility is a powerful drug pt.3
responsibility is a powerful drug pt.3
Schluss mit dem Mauscheln! Zeit für einen ernsthaften Diskurs!
Im letzten Newsletter haben wir angekündigt, die verschiedenen Ressentiments der Weinwelt gegenüber dem Begriff „Naturwein“ ein wenig näher zu beleuchten. Wir beginnen heut mit dem ersten Zankapfel.
Naturwein gibt es nicht! Er ist nicht definiert und außerdem ist ja jeder Wein „Natur!“
Dem würde ich gleich einmal entgegenhalten, es ist der einzige Stil der klar definiert ist, auch ohne Gesetz. Naturwein ist „Just grapes. Nothing added, nothing removed!” „100% uve et basta!“.
Szenenwechsel!
Eine junge Winzerin aus Deutschland erzählte im Rahmen einer Podiumsdiskussion am Arlberg zum Thema „Terroir & Naturwein“, dass sie mit dem Begriff „Naturwein“ nichts anfangen kann. Sie finde ihn „unglücklich“, denn es ist ja alles Natur. Ist es das wirklich?
Das ist ein „Argument“, dass ich seit Jahren höre, aber es ist deswegen nicht richtig!
Ich finde Zusatzstoffe zum Beispiel nicht natürlich!
Ich finde den Zusatz von gezüchteten Hefen, Enzymen, Vitaminen, Lysozymen usw. im Wein, auch wenn sie zugelassen sind, nicht natürlich. Davon gibt es im konventionellen Bereich 200 und in der Bioproduktion etwa 150. Was ist in Anbetracht dessen „unglücklich“ an einem Begriff, wie „Naturwein“ der mir als Konsument dagegen keine Zusätze garantiert?
Und weiter führte die Winzerin aus „Im Grunde mache sie Naturwein, doch bei ihren Lagenweinen, greift sie zu Filtration und Schönungsmittel, denn sonst würde die Vergleichbarkeit zu ihren Kolleg:innen fehlen. Somit würde sie keine staatliche Lagenklassifikation bekommen! Auch würde die Bewertbarkeit für Journalist:innen nicht gegeben sein!“
Wird hier das Pferd nicht von der falschen Seite aufgezäumt? Was ist an einer Schönung mit Bentonit „natürlich“, frage ich? Was ist an der Gleichschaltung von Trauben aus konventioneller und organisch biologischer Landwirtschaft „natürlich“.
Die Diskussion um Naturwein dreht sich außerdem leider viel zu oft nur um den Schwefel. Darum geht es überhaupt nicht, oder nur am Rande. Viel wichtiger ist, dass Naturwein der einzige Weinstil mit klarem Bekenntnis ohne Zusätze auskommen zu wollen ist. „Nothing added, nothing removed!“.
Jean-Yves Péron hat uns bei unserem letzten Treffen offen darüber erzählt, wie schwer es heutzutage geworden ist, diesem Ideal treu zu bleiben. Wie viele Fässer er nicht füllt oder jahrelang warten muss, bis die Weine fertig gegoren haben. Daher versteht man durchaus, warum sich Winzer:innen dieser Tortur entziehen wollen. Aber nennt es beim Namen, es ist eine wirtschaftliche Entscheidung und keine Qualitative, wie man es oft insinuiert. Deswegen den Begriff „Naturwein“ als unpassend zu diskreditieren ist unfair.
Kehren wir zu unserem Ausgangspunkt zurück. Es ist wahr, der Begriff „Naturwein“ hat einstweilen keine gesetzliche Definition. Er aber seit Anfang an eine ideelle - „just grapes“. Aufbauend darauf haben private Initiativen, wie Demeter, Respekt, die RAW von Isabelle Legeron oder Marko Kovacs Karakterre, versucht, diese ideellen Werte in praktische Richtlinien umzulegen. All diese Definitionen, private, wie staatliche, dienen, so sagt man uns, dem Schutz und der Orientierung der Konsument:innen! Nun frage ich mich, als Konsument, wo bleibt die Orientierung bei den rechtlich vorgeschriebenen Deklarationen? Auf der „list of ingredients“ für Nährwerte, Zusatzstoffe und Allergene, die bei all jenen Weinen, die nach November 2023 gelesen wurden, verpflichtend in der EU am Etikett anzugeben ist, findet man nur Trauben, Schwefel und Kalorien. Die Industrie hat es erfolgreich geschafft, es so zu drehen, dass alle Zusätze, die nur temporär im Wein verbleiben, nicht angeführt werden müssen. Eben diese bis zu 200 Zusätze! Man findet sie angeblich nicht in messbaren Dosen im fertigen Wein. Sie fallen aus, oder werden wegfiltriert. Wo ist hier die Konsument:innen-Information!
Ich glaube, dass wir als Konsument:innen, wie als Winzer:innen, mehr für den Begriff „ Naturwein“ tun sollten. Er ist der Einzige der, wie es Gernot Heinrich in unserem Interview nannte, „Die Spreu vom Weizen trennen kann!“
Es braucht daher auch für uns, als Weinskandal, in Ermangelung einer staatlichen Richtlinie, eine eigene. Wir wollen unseren Kund:innen eine verlässliche Orientierung geben. „Naturwein“ so transparent wie möglich zu machen, um Trittbrettfahrer:innen auch für nicht Fachleute erkennbar zu machen. Vielleicht schließen sich auch andere Händler:innen an und wir können als Beispiel für die Branche dienen.
Als ersten Schritt haben wir für uns beschlossen, den Begriff „Naturwein“ zu weiten. Es ist, wie im letzten Newsletter ausgeführt, für einige heute nicht mehr möglich ohne Schwefelzusatz auszukommen. Sie machen nach den unten definierten Kriterien trotzdem Naturwein. Sie dürfen und wollen wir nicht von der Bettkante stoßen. Stabile Weine sind uns wichtiger als Dogmen. Der größte Teil an Naturwein wird heute so produziert.
Dann gibt es Weine die ganz ohne Zusatz, auch ohne Schwefel, stabil abgefüllt werden können. Wir wollen sie die „Zero Zero“ Weine nennen. Ich will nicht sagen, dass sie die besten Weine für jederfrau sind, doch gehören sie in jedem Fall herausgehoben. Sie sind eine rare Spezies. Es ist die höchste Kunst im Weinmachen. Es bedarf perfekter Trauben aus ideal bewirtschafteten Weingärten. Die Winzer:innen nehmen für sie das höchste Risiko in Kauf. Das muss eine Erwähnung finden, um aus dem Sumpf des „Grand vin“ klar zu unterscheiden zu sein.
Um nun für uns eine genaue Definition von „Naturwein“ zu erarbeiten, werden wir die Charter of Quality RAW WINE und den Kriterien Katalog der Karakterre als Ausgangspunkt nehmen. Beide berufen sich nicht explizit auf den Begriff „Naturwein“, werden aber in der öffentlichen Wahrnehmung doch sehr stark damit verbunden.
Isabelle Legeron, MW, ist mit Sicherheit eine der kompetentesten Personen im Naturwein Zirkus. Die Gründerin der RAW WINE hat vor vielen Jahren schon, um den Anfeindungen von Neidern etwas entgegenzuhalten, diese Charter aufgestellt (hier der Originalwortlaut):
All wines presented at RAW WINE have to meet the following criteria:
• The entirety of the domaine from which the grapes are issued must be farmed organically and/or biodynamically.
• Grapes must be hand-harvested.
• No yeasts may be added, except in the case of the second fermentation of sparkling wines, when neutral yeasts may be used.
• No blocked malolactic fermentation.
• No winemaking additives (yeasts, enzymes, vitamins, lysozymes etc) may be used in the cellar except for low levels of sulfites. Growers/makers are asked to supply analysis paperwork detailing total levels of sulfites for each wine they present at RAW WINE. These levels are made available to users. If growers/makers do not add any sulfites whatsoever, the mention “no added sulfites” appears but we do require analyses and the total SO2 appears on the wine’s information. ** Please note: no sulfite totals may exceed 50 mg/l regardless of colour or style. Exceptionally, some wines may exceed 50 mg/l as 2024 is a transition year and our maximum permissible total SO2 levels used to be 70 mg/l.
• No ‘heavy-manipulation’ has been carried out using winemaking gadgetry such as reverse osmosis, cryo-extraction, spinning cone, and so forth.
• No sterile filtration or pasteurisation.
• Most of the wines showcased will not have been fined or filtered. If a grower/maker's wine has been fined or filtered, it will be clearly labeled as such. Only vegetarian-friendly fining agents allowed.
• If chaptalisation or acidification was used in an exceptional year, or if another additive was used in production, the wine may be eligible for inclusion in RAW WINE, but the additive will be clearly labeled on grower profiles.
Marko Kovac hat kurz nach Isabelle seine Karakterre gegründet und ist auch ein weithin anerkannter Spezialist in diesem Thema.
Criteria of Karakterre:
We ask each participating winery to certify that they:
• follow organic, biodynamic, or natural wine guidelines in vineyards and cellar, practicing low intervention.
• do not exceed 50mg/l of total sulphur in any of their wines.
• actively promote authentic grape varieties.
• actively promote sustainable farming and living.
• are family-owned & operated…
• …. and they adhere to these criteria wherever they farm and make wine.
In den nächsten Monaten werden wir die einzelnen Punkte näher beleuchten, um am Ende unsere Definition herauszudestillieren. Es geht nicht darum die bessere zu bekommen, sondern eine hinter der wir stehen können. Eine die unseren Kund:innen Klarheit gibt, was sich hinter welchem Begriff verbirgt. Mir scheint dies an der Zeit.
Schluss mit dem Gemunkel. Responsibility is a powerful drug.
Santé!