Was ist Naturwein?

Moritz, Du betreibst seit einigen Jahren einen sehr erfolgreichen Naturwein Laden und online Shop in Wien. Was ist eigentlich ein Naturwein, gibt es dafür eine genaue Definition? Bzw. was verstehst Du darunter?

Grundsätzlich gibt es für Naturwein keine genaue Definition. Die Frage ist ob eine Definition dafür überhaupt angebracht ist, denn die eine Seite von Naturwein ist als Definition keine Definition zu haben.

Spontan Wein werden zu lassen, durch das Hier und Jetzt, mit den Hefen, Bakterien die im Weingarten auf den Trauben und im eigenen Keller von Haus aus sind - das ist eine Prämisse. Es wird also Wein gemacht wie früher, also "vorindustriell", aber mit dem Wissen in Chemie und Physik von heute. Es ist kein reaktionäres System, sondern es ist  ein zutiefst fortschrittliches. Das gestern und heute verschmelzen zu lassen.  

Naturwein ist eine Gegenbewegung zur großen Uniformität, die in den letzten Jahren entstanden ist  - Wein wurde immer stärker designed, im Keller gemacht, auch um erfolgreiche Weine zu kopieren. Mit hunderterlei Hilfsmitteln aus der Lebensmittelindustrie, alles legal, aber halt nicht ganz ursprünglich ;-). Von immer den gleichen Beratern. Eine zweite Prämisse ist also: Weg vom winemaker, hin zum Weinbauern.

Was ist Naturwein?

Und damit sind wir beim Thema der Verträglichkeit, ein sehr vernachlässigter Bereich in der Diskussion. Wein ist ja ein Nahrungsmittel und insofern sollte man die gleichen Maximen wie für seine Grundnahrung anlegen, sprich keine Zusätze, niedrige Belastung, oder einmal darüber reden was da alles so drin ist! Wenn du im Keller auf technische Hilfsmittel verzichtest, also auf Zusätze, dann muss der Geschmack aus dem Weingarten kommen. Die Trauben müssen so Inhalts-stark sein, dass genügend Aussage da ist. Daher muß der Fokus der Arbeit im Weingarten liegen. Denn nur wenn der Stock aus mannigfaltigem und organischem Material schöpfen kann, wird er aromatisch komplexe Trauben produzieren. Daher muß die Bewirtschaftung biologisch sein, im Idealfall vielleicht  sogar unter biodynamischen Maximen. Folglich wird Naturwein immer nachhaltig produziert sein. Es geht weg vom systemischen "Pflanzenschutz", der zum Teil in die Pflanze eindringt, zu rein äußerlich wirkendem Schwefel und Kupfer in Dosen die keine nachhaltigen Belastung für die Umwelt bedeuten.

Das ist ein wichtiges Thema und das ist das was die Naturwein-Winzer stark thematisiert haben.

Hier geht es um wirklich Ressourcen-schonende Arbeit, nämlich im Sinne einer der Allgemeinheit verpflichtende Landwirtschaft. Und genau das ist das, was ein ganz notwendiger Teil der Arbeit bei uns ist, den Menschen klarzumachen dass sie dies auch bedenken. Die exzessive Bewirtschaftung über Jahrzehnte hat die Böden zu Wüsten gemacht. Grundwasser Reservoire leer geschöpft. Woher nehmen sie sich das Recht am Verbrauch des Allgemeinguts? Viele Winzer sind umgestiegen, weil die Schäden die bereits in Ihren Weingärten aufgetreten sind so hoch sind, dass es unrentabel wurde sie zu bewirtschaften. Immer mehr Agrochemie um den Ertrag zu erhalten. Diese Mittel sind nicht nur ein Raubbau an der Natur, sondern sehr kostenintensiv. Also fiel die Entscheidung  oft nicht nur aus anthroposophischen Gründen, sondern aus handfesten wirtschaftlichen. Was ok ist. Die organische - biologische Bewirtschaftung  bringt also eine wirtschaftliche Zukunft, auch spannend, oder?

Was ist für Dich das besondere an diesen Weinen?

Das spannende an Naturweinen ist die Leichtigkeit, die Lebendigkeit der Weine. Wein soll Getränk sein und nicht Statussymbol. Viele Winzer haben umgedacht, weil ihre Weine ihnen nicht mehr geschmeckt haben. Diese Süffigkeit verloren haben. Gerade bei den Rotweinen ist das stark zu merken. Die Weine waren zu stark konzentriert, zu alkoholreich, zu üppig. "Big Wines" waren die Folge.  Da beim Naturwein nicht die Arbeit im Keller im Vordergrund steht, wird Rotwein plötzlich süffig. Fast wie Weißwein. Die Franzosen nennen es Vin de GlouGlou. Kein pelziges, adstringentes Mundgefühl, sondern grazil verspielter Trunk. Oft mit leichter Farbe, weil mit wenig Alkohol gelesen und trotzdem viel Geschmack. Wie das? Weil die Traubenqualität besser ist. Das ist für mich persönlich eine der größten Errungenschaften der Bewegung, das Rotwein endlich wieder Spaß macht.

Der Unterschied zu klassischen Weinen zeigt sich aber auch noch in anderen Belangen, oder?

Wenn Fachleute von Qualität im Wein sprechen, dann geht es immer schnell um das sogenannte ‘Terroir’, die Herkunft. Man sagt großer Wein zeigt wo er her ist. Eine große Lage hat einen eigenen Ausdruck. Dem stimme ich zu. Doch hat man meiner Meinung nach, dieses Terroir mit Keller Manipulation gleichgesetzt. Berühmte Regionen, wie das Burgund, haben fixe Vorgehensweisen im Keller, die viel mehr den Stil ausmachen, als ihre Herkunft zeigen. Sonst wären diese Stile ja nicht kopierbar, oder?

Ich bin der festen Überzeugung, dass nur ein Wein der selbst seinen Weg findet, unfiltriert und ohne Zusätze gemacht ist, wohl vom wachen Auge des Winzers begleitet, der einzige ist, der das ganze Universum in sich vermag abzubilden. Die besten dieser Art sind die besten Weine der Welt. Für solche Götterfunken leben wir! Diese zu finden ist unsere Aufgabe. 

Wann hast Du zum ersten Mal von Naturwein oder einem der anderen vielen Begriffe wie raw wine, vin natural, vin vivant... gehört und wann hast Du zum ersten Mal ein Gläschen gekostet?

Das weiß ich noch ziemlich genau, das war 2002 - da war ich bei einer Verkostung. Da hat es einen Wein gegeben, der hat mein Bild von Wein dermaßen zerstört, mich eigentlich im besten Sinn verstört, aber begeistert, entrückt - mein Weltbild von Wein entrückt. Es war eigentlich ein ganz klassisch anmutender Wein, also kein oranger Wein, sondern hell strahlend, gelb, also so wie man das kennt. Aber es war die Energie, die dieser Wein, diese Präzision, diese Länge, aber gleichzeitig diese Freude, das facettenreiche, das immer wieder sich verändern, jedes Mal ein anderes Bild, sich niemals erschöpfend. Ein perfekter Trunk, nicht anstrengend. Und genau das ist es was ich vorher nicht kannte. Ich kannte immer nur Facetten davon.

Der Wein war ein Soula blanc 2001, Domaine Soula. Dieser Wein ist von dem in Südafrika geborenen Tom Lubbe, das wusste ich aber damals nicht. Wir haben uns dann ein paar Jahre später kennengelernt und er ist jemand der mich die letzten 20 Jahre sehr stark begleitet hat und er ist wahrscheinlich auch einer der wichtigsten Winzer in unserem Portfolio, Domaine Matassa.

Auf jeden Fall war dieser Wein der Wendepunkt in meinem Wein Verständnis. Und eigentlich hat damit alles begonnen.

Hier geht es zum zweiten Teil des Interviews: Stecken wir mitten in einem neuen Weiskandal?!

 


Hinterlassen Sie einen Kommentar