Gerbstoff Baby!

Oder: Wie kommt Struktur in den Wein?
Gerbstoff ist ein Thema, über das wir hier schon öfter geredet haben. Diese Bitterstoffe fassen den Wein, wie ein Ring seinen Stein. Es entsteht eine Struktur im Mund, die wir gerne auch als Körper oder Textur bezeichnen. Diese Gerbstoffe gehören zur chemischen Gruppe der Polyphenole.

Polyphenole sind auch für die Farbe, die meisten Geruchs- und Geschmacksstoffe verantwortlich. Wesentlich beeinflusst wird ihre Bildung von Licht und Temperatur. Großen Einfluss hat auch die Rebsorte bzw. der Klon an sich.
„Textur im Wein” ist ein Thema, das in der Sommelerie in den letzten Jahren immer wichtiger wurde. Oder war es schon immer wichtig und der Zugang dazu hat sich ein wenig geändert?“, warf Stephan Martin, meisterlicher Sommelier und mind behind der R&BAR in Wien, in der Vorbereitung zu dem Thema in die Diskussion ein.

Und setzte fort, „Um den Begriff zu verstehen, sollte man sich weniger auf die Aromen, als auf das Mundgefühl konzentrieren. Ich denke, dass viele Gäste oft eine falsche Vorstellung von Tannin, bzw. Gerbstoff haben. Die Erwartungshaltung bei dem Begriff Gerbstoff ist oft ein 'Oldschool-Rotwein' mit pelzigem Tannin. Dem ist aber nicht so, vielmehr öffnet das Spiel mit den Bitterstoffen (Tannin oder auch Phenol) die Möglichkeit einer Vielzahl von Stilen. Gerade im Naturweinbereich mit großer Hingabe exerziert.“

Stephan spricht hier eine weit verbreitete Unart an, Weine „aufzublasen“. Ähnlich derber Schminke, wird hier das Fass als Geschmacksträger verwendet.

 

Stephan Martin, Sommelier und Host in der R&BAR

-- Stephan Martin, Sommelier & Host R&BAR --

Wir sprechen aber vom Gerbstoff aus der Traube. Egal welcher Farbe. In Stielen, Schale, oder Kern. Überall sind Polyphenole enthalten.
Also eigentlich auch im Weißwein.

Viele von uns sind mit modernen (technischen) Weißwein Stilen sozialisiert worden, die bewusst auf Bitterstoffe verzichten. Dabei wird durch sauerstoffarme Pressverfahren, Schönung, Kühlung, Filtration, der Bitterstoff-Anteil gegen Null getrimmt um die Duftigkeit des Weins zu betonen. Dieser Prozess führt zu einer gewissen Uniformierung im Stil, den wir alle kennen–von Orvieto bis Deidesheim.
Dem versuchen heute viele Winzer:innen durch den Einsatz von „alten“ Korbpressen entgegenzuwirken. Hierbei ist der Pressprozess lang, der Schalen- und Sauerstoffkontakt intensiver und die Bitterstoff Auslaugung höher. Des Weiteren verbringen heute wieder Weissweine, selbst im zutiefst klassischen Bereich, einige Stunden auf der Maische. Die Farbe ändert sich dabei kaum. Doch die Struktur des Weins profitiert immens. Wir sprechen hier nicht von „Orange Weinen“, es sind „ganz normale“ Weißweine mit mehr Tiefe, um nicht zu sagen, mit einer gewissen Dreidimensionalität. Diese Art der Verarbeitung ist zu tiefst traditionell (von 18Jhdrt bis in die 1980er Jahre). So entstanden früher Weißweine bevor er aalglatt sein musste. Von der Champagne, über die Mosel, bis zu uns. Diese Gerbstoffe haben nämlich auch eine antioxidative Wirkung - der Grund dafür, dass so viele traditionell gemachte Weine, bzw. maischevergorene Weine auch so wunderschön reifen.

 

Gerbstoff Baby Erich Andert

 

Zurück zum Gerbstoff. Es gelangen also mehr phenolische Verbindungen in den Wein, umso länger der Kontakt zwischen Saft und Schale, bzw Stielen besteht. Natürlich wird der Effekt noch von einigen anderen Faktoren wie der Temperatur, dem Alkoholgehalt, der mechanischen Bewegung, der Herkunft der Trauben, etc. beeinflusst.

Eine genaue Abgrenzung, wo Weißwein endet und oranger Wein beginnt ist eigentlich nicht möglich.

Daher finden wir den Begriff „Orange“ unpassend und sprechen lieber von maischevergorenen Weinen im Gegensatz zu direkt gepressten Weinen, mit einem geringeren Phenol Anteil.

Ein ganz wundervolles Beispiel für Weine mit dezentem Gerbstoff, ohne wirklich Orange zu sein, ist die Kategorie Cuvée Weiss aus Deutschland. Viele verschiedene Rebsorten, oftmals ein Mischmasch aus Direktgespresstem und Maischevergorenem. Aromatische Rebsorten wie Scheurebe oder Müller-Thurgau tänzelnd umwoben vom Gerbstoff –auch um ihre manchmal laute Ader zu zügeln. Riesling oder Sylvaner bringen Struktur und Frische! Zusammen ergibt das ein Erfolgsrezept, dass auch vielen österreichischen Winzer:innen nicht fremd ist. Aus Müller-Thurgau wird Muskat, aus Riesling Grüner Veltliner. Hier zu Lande heißt es dann Kalk und Kiesel, Koreaa, Risque blanco. Jesuit oder Stratos.

Gerbstoff Rose Supernova Schödl Family, Zorra Rosé Nittnaus

„Orange“ suggeriert ja auch, dass diese Art der Vinifizierung nur mit weißen Trauben möglich ist, dabei basiert die aktuelle Rotwein Revolution genau auf diesem spielerischen Umgang mit Gerbstoff. Dinge neu zu denken. Auch bei Rotwein gibt es einen fließenden Übergang in den Stilen.
Das Spiel beginnt mit einem Rosé, oder Blanc de noir, beinahe gerbstofffrei, wie Malinga Rosé, geht weiter mit etwas mehr Grip à la Sepp Musters Rosé Opok dann wird es dünkler und bleibt trotzdem süffig und der Gerbstoff fühlt sich an, wie bei Weißwein. Pink maceration von Christian Tschida (Birdscape), Meyers Fanny maceration, oder Matassa Tattouine sind da Prototypen. Sie würden diese Weine niemals als „klassische“ Rotweine ansprechen, obwohl diese Stile älter sind als das österreichische / deutsche Rotwein Wunder. Diese wundervolle Klaviatur an Möglichkeiten des Gerbstoffspiels wurde einfach wiederentdeckt.

Maischevergoren ist also nicht gleich Maischevergoren!

Claus Preisinger hat es auf den Punkt gebracht: „Meine Idee ist es Rotweine, wie Weißweine und Weißweine, wie Rotweine zu machen!“ Auch Eduard Tscheppe vom Gut Oggau drückt es ähnlich aus, indem er sagt: „Wir vinifizieren rote und weiße Trauben gleich“.

Das bedeutet auch nicht, dass es nur noch helle Rotweine geben darf, oder einen Stil Wein. Nein, vielmehr wird heute die Ausbauweise mehr an den Jahrgang und das Potential der Trauben angepasst. Nicht zu letzt, weil sich die klimatischen Bedingungen rasant ändern. Es gibt kein Schwarz oder Weiß! Wäre ja auch langweilig.
Es gibt wunderbar lange mazerierte Weine, in Rot, wie in Weiß. Der lange Ausbau führt zu einem Verschmelzen der Gerbstoffe, es macht die Weine seidiger – balsamischer. Es bedeutet überhaupt nicht „Pelzigkeit, Röst und Schoko“. Das ist nur Holz, nicht Wein.

Virtuosen bei diesem Thema sind Podere Pradarolo . Sie bauen Weine oft ein Jahrzehnt lang aus und verkaufen sie erst dann. Alberto Carretti und Claudia Iannelli sind Kultfiguren in Italien! Organische Bewirtschaftung von Anfang an, heute kein Novum mehr, kein Aufschrei - doch das war 1989! Lange Maischestandzeiten und lange Flaschenlagerung, ein Erfolgsrezept für Ruhe und Balance. Trotzdem mit ordentlich italienischem Temperament versehen. Podere Pradarolo sind Texturweine. Keine zarten Wässerchen.

Wenn ihr euch dem Thema “Gerbstoff” nun kuratiert einmal nähern wollt, folgt dem Link hier. Dort haben wir unter dem Motto “Das große 3x10 in WEISS & ROT!” exemplarische Weine der oben beschriebenen Stile zum Sonderpreis zusammengefasst– ab einem Kauf von 3 Flaschen. “Gerbstoff baby!”, das ist der heißeste, alte Shit :-)!

 

 


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