responsibility is a powerful drug pt. 2
Schluss mit dem Mauscheln! Zeit für einen ernsthaften Diskurs!
Die atemberaubendsten Weine, die ich bisher getrunken habe, waren Weine ohne Zusätze, spontan vergoren, ohne Schönung. Aus Landwirtschaft die sinnvoll für Menschen und Planeten ist. Diese Weine nenne ich gerne „Naturwein“. Sie sind es, die mich seit 20 Jahren umtreiben und mich nach ihnen suchen lassen.
Mir scheint aber neuerdings, dass dieser Anspruch immer weniger Winzer:innen und Somms interessiert. Genauer gesagt, dass man es nicht so genau nehmen will. Der Frage ausweicht. Weil sie weh tut?
Aber warum ist das so? Ist es eine Jugend ohne Gott, frei nach Horvath? Sicherlich nicht. Die Antwort ist leider profan: Weil es immer schwieriger wird Weine ohne Zusätze zu machen. Doch man kann sie machen! Das scheint mir im Diskurs gerne unterschlagen zu werden. Wir sprechen auch nicht von einer Hand voll unverbesserlicher Freaks, die eine Art Essig in Flaschen füllt. Wir sprechen von Legenden, wie Pierre Overnoy oder Jean- Pierre Frick. Aber auch von Weinen für jeden Tag von Judith Beck, Lammidia, Joan Rubio oder Axel Prüfer! Von der Mosel bis nach Andalusien. Wer es nicht glaubt, schaue sich das Line-up der tollen Zero Zero Salons „Natur all“, oder „Il était une fois“ an.
2024 war für viele Winzer:innen in Europa ein weiteres Jahr der Extreme. Während 2021 und 2022 enorm trockene Jahre waren, 2023 ein moderates bis feuchtes Jahr war, gab es 2024 Unmengen an Regen. Frost im Frühjahr. In Zentraleuropa eine Hitzewelle im Sommer. An der Loire keinen Tag ohne Wolken und tiefe Temperaturen! Überreife in einem Jahr, Reifeprobleme, Pilzkrankheiten, Frost im anderen. Das fordert die Winzer:innen enorm. Geistig, körperlich, aber auch wirtschaftlich! Sepp Muster meinte einmal zu mir: “Ich muss die jährlichen Ernteverluste in einem Jahrzehnt so auspendeln, dass ich am Ende auf einen Durchschnitt von 50% des Ertrags komme. Nur dann kann ich wirtschaftlich überleben.“ Das klingt natürlich nicht sexy!
Jahrgangsunterschiede hat es in unseren Breiten immer gegeben, doch nun sind es Extremwetterlagen. (Wer dazu mehr wissen will, höre unsere Podcast Folge „climate change & viticulture“ auf Spotify an). Wir brauchen neue Antworten und die gibt es noch nicht so richtig. Massive Trockenheit über Wochen. Enorme Niederschläge in wenigen Stunden. Diese fordern nicht nur uns Menschen, sondern auch die Natur. Sie zeigen charmelos die Schwächen des industriellen Weinbaus. Mehr und mehr Weinbauer:innen erkennen dies und stellen daher auf biologisch organische Bewirtschaftung um. Denn das fehlende Leben im Boden bringt Nährstoffmangel in den Trauben. Nährstoffmangel bringt, vor allem bei klaren Weißweinen, Gärprobleme. Im konventionellen Weinmachen gibt es dafür dann die Heilige Dreifaltigkeit der Zusätze: Zitronensäure für die fehlende Säure, Schwefel für die bakterielle Stabilität und Diammoniumphosphat als Nährstoff für die Hefen. Doch das funktioniert auch nicht mehr so richtig. Man schmeckt das bei vielen Weinen der Jahrgänge 2018 und 2022. Essigartige Töne und Restzucker in vom Stil her trockenen Weinen.
Wir Konsument:innen machen die Situation auch nicht besser. Raunen, wenn Weine ungewohnt schmecken, dabei reflektieren sie nur das „neue Normal!” Am stärksten unter Druck geraten vormals kühle Regionen, wie Chablis, Südtirol oder Niederösterreich. Die Hitze ist der Frische tot! Aber auch heiße Regionen, wie Südafrika kommen immer mehr unter Druck. Es gibt dann auch nur wenige Winzer, die die Menge an organischem Material ausbringen können oder wollen, die das Defizit an Wasserspeichervermögen ausgleichen würde - denn die finanzielle Belastung und der Arbeitsaufwand ist enorm. Durch unsere Beharren auf den gewohnten Stilen fördern wir sogar den Einsatz von Zusätzen. Im Burgund ist es bei vielen Jungstars Gang und gäbe, dass man die Pinot Noirs zu früh liest, um die Frische und Frucht zu halten, und dann aufzuckert, um Fülle zu cachieren! Und wir Konsument:innen feiern das ab. Zahlen richtig viel Geld dafür!! Das ist der Verlust, von dem ich oben sprach. In vielen Regionen wird Zitronensäure ganz offen, oder hinter vorgehaltener Hand zugesetzt und wir feiern das ab! So wird einfach eine neue Realität „geframt“. “Ohne Zusätze geht es nicht mehr!“ Aber das stimmt eben nicht. Es braucht aber sicher, niedrigere Erträge und eine andere Bewirtschaftung. Um bei Sepp Muster zu bleiben, der zeigt, wie es landwirtschaftlich geht, aber auch, dass man dafür Geld bekommen muss!
Wir haben steigende Produktionskosten, bei gleichzeitiger Überproduktion. Denn viele Lager sind voll. In Frankreich gingen 2024 Winzer:innen auf die Straße, um für die Erhöhung (sic!) von Obergrenzen ihrer Spritzmittel zu kämpfen. Round up wurde in Europa wieder legalisiert. In Deutschland haben Bauern den Landwirtschaftsminister bedroht, weil er die Förderungen auf Agrardiesel zurückfahren wollte!
Anstatt einmal offen darüber zu reden, wird weiter vertuscht und in verständlicher Verzweiflung, nach immer neuen Zusätzen gesucht, um billiger produzieren zu können. Es sind strukturelle Probleme, die man aber nicht benennen will. Statt Flächen still zu legen, wird gefördert mit Geld, das wir nicht haben! Es wird zu viel Wein produziert, der keine Kund:innen finden. In jedem Segment. Der aber der ganzen Branche, wie ein Mühlstein um den Hals hängt! Verunsicherung macht sich breit. Der Druck auf die Produzent:innen nimmt zu. Auch in der Naturweinszene. Manche Winzer:innen die sich früher dafür ausgegeben haben, sagen sich los, weil sie sich vor den Trittbrettfahrer:innen schützen wollen?! Weil der Begriff „Naturwein!“ ungeschickt sei, oder weil er nicht definiert sei!
Aber er ist ja definiert „Just grapes!“. „Nothing added, nothing removed“ stand und steht auch heute noch auf ihren Fahnen. Warum den Begriff verwerfen und sein Heil im großen Fischteich suchen? Wir machen jetzt “Grand Vin”, wie das Burgund! Vielleicht ist es nicht der Begriff? Vielleicht liegt die Latte heute einfach zu hoch?
Catherine Hannoun, von der Domaine de la Loue aus dem Jura hat in einem Gespräch auf unserer REAKTOR Veranstaltung das Problem sehr gut beschrieben, „Wie ich begonnen habe war es kein Problem Weine ohne Schwefel zu machen, doch heute komme ich in manchen Jahren einfach nicht darum herum! Doch ich versuche immer ohne zu arbeiten!“.
Reden wir doch offen darüber! Was gibt es zu verlieren?
„Wir haben nichts zu verlieren, außer unsere Angst!“
sang Rio Reiser mit seinen Ton, Steine, Scherben in den 1970ern.
„Der Traum ist aus, doch ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird!“,
Also gehen wir es an! Euer Weinskandal Team
(Autor Moritz Herzog)
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