WSK SPECIAL PT.3: Message in a bottle
Als ich begann mich mit Wein auseinanderzusetzen, stellte sich mir schnell eine Frage, deren Beantwortung mich fast ein Jahrzehnt kostete. Meine Grundannahme war, dass Wein aus Trauben und sonst nichts besteht! Ähnlich dem Reinheitsgebot bei Bier. Doch wenn ich Trauben durch Äpfel oder Birnen ersetzte, wurde es Most und schmeckt viel rustikaler. Wenn beides vom Prinzip her gleich gemacht wird, woher kommt dann der große Unterschied?
Nach dem ersten Sommelier Kurs hörte ich dann, dass nach dem Pressen der Trauben der Most entsteht, der dann geklärt, entschleimt und danach geschönt wird /werden kann. Dies alles sagte mir nichts und in meiner männlichen Einfältigkeit habe ich diesen Prozessen keine allzu große Bedeutung zugemessen. Ich war viel mehr interessiert an den Geschichten um die Weine. Die großen Herkünfte, Terroir, die Sorten, deren Typizität. Es ging mir um den Geschmack des Weines. Ich bin davon ausgegangen, dass der Boden und das Klima zusammen mit den Trauben den Wein machen. Weil man mir das auch so vermittelte! Ich war glücklich, manchmal sogar benommen, und lernte mit diesem Wein-Most Paradoxon leben.
Die komplette Verwirrung setzte ein, als ich die ersten Naturweine trank. Ich kannte die Winzer:innen und wusste, weil ich dabei war, dass sie nur Trauben und sonst nichts verwendeten. Da war dann aber etwas mostiges und es war offenkundig Wein! Warum waren die beiden Stile so unterschiedlich?
Im Dezember diesen Jahres tritt eine der größten Änderungen des europäischen Weingesetzes der letzten Dekaden in Kraft. Die Deklarationspflicht für Inhaltsstoffe inklusive Nährwerttabelle. Genauso wie ihr es von Softdrinks und Säften kennt. Der Start ist etwas holprig, doch ein lang geforderter Akt der Offenlegung ist nun nicht mehr aufzuhalten. Wirklich losgehen wird es erst mit der Ernte 2024. Aber immerhin muss ab dann niemand mehr dem Wein-Most Paradoxon aufsitzen.
Zu den Fakten:
Auf jedem Wein muss der Energiegehalt angegeben werden. Kcal und KJ - genau wie ihr es kennt. Nun gut, für mich als Sommelier nicht unbedingt die wertvollste Information aber als Ernährungsmuffel verstehe ich nun, woher mein Bierbauch kommt! Auch nicht schlecht! Der Rest darf sich erstmal hinter einem QR-Code verstecken. Nach Ablauf einer Übergangszeit sollen auch Kohlenhydrate, Salz und Fett ihren Weg aufs Etikett finden. Wirklich interessant ist dabei nur der Zucker. “Ich trink gerne Rote mit Power. Natürlich nur Trockene!” Dass solche Weine gerne einmal fünfzehn Gramm Zucker pro Liter beinhalten, ist dann endlich ersichtlich.
Abseits der eigentlichen Nährwerttabelle folgt eine Auflistung der Zutaten. Nun wird es interessant, denn hier findet sich die Antwort auf das Paradoxon. „Was verbirgt sich hinter den 3 Schlagwörter: Klären, Entschleimen, Schönen?“
Dies ist der Zeitpunkt, wo aus rustikalem Most Wein gemacht wird, wie wir ihn geschmacklich kennen. Dabei laufen viele chemische und physikalische Prozesse ab, in die man eingreifen kann, aber nicht muss (low intervention). Ein Wunderwerk an speziell dafür entwickelte Substanzen können legal zu Hilfe genommen werden, um den Wein in eine gewünschte Richtung zu verändern (intervention).
Etwa 200 solcher Zusatzstoffe sind für konventionellen Weinbau zugelassen. Etwa 80 für biologisch -organische Bewirtschaftung. Das ist so weit auch nicht verwerflich, sollte aber einfach klar kommuniziert werden. Da es offensichtlich auch der Weinindustrie zu steil wurde, haben sie nun einer teilweisen Offenlegung des Mysteriums zugestimmt. Anzugeben sind nun alle Stoffe, die im Wein verbleiben. Also Säuerungsmittel, Stabilisatoren und Schönungsmittel….
Plötzlich wird es da heißen Stabilisator E414, Säuerungsmittel E334, oder Dimethyldicarbonat. Auch Enzyme sind ab einer bestimmten Menge zu deklarieren. Wie in pt. 2 unseres Specials bereits erwähnt (nachzulesen hier), werden diese Zusatzstoffe aufgrund der sich verändernden Umweltbedingungen immer einflussreicher. Die Weingärten stehen unter enormen Belastungen und drücken dies durch Fehltöne aus. Dem kann man durch Verbesserung des Wasserspeichervermögens und des mikrobiellen Lebens im Weingarten entgegentreten, oder aber im Keller nachhelfen, indem man einfach nur Symptome bekämpft— Zusatzstoffe dazugibt oder auch wegnimmt, was ein überforderter Weingarten als Stress-Symptom mitgibt! Beides ist legitim, doch ist es nicht das gleiche!
Die Deklarationspflicht steht aber auch erst am Anfang. Viele Hilfsmittel, wie z.B. die Reinzuchthefen müssen nicht angeführt werden. Was sehr schade ist, denn sie sind sehr unterschätzter Spieler im Wein-Most Paradoxon.
Sicherlich helfen sie bei Gärproblemen, was wirtschaftliche Sicherheit für Betriebe bringt. Das Problem ist aber, dass sie heute massiv als Stilmittel eingesetzt werden, ohne dass dies für die Konsument:innen ersichtlich ist. Das bedeutet, dass minderwertige Weine, oft steril filtriert, mit Aromahefen - beispielsweise SIHA Cryarome - gepimpt werden. Diese Weine schmecken dann z.B. nach Sauvignon Blanc aus Neuseeland, obwohl sie es gar nicht sind. Viele Produzent:innen in der Steiermark haben mit solchen Hefen ihr Aromaprofil optimiert und wurden damit sehr erfolgreich. Gegen diesen pragmatischen Ansatz spricht gar nichts, außer der Begriff Herkunft.
Und weil diese Weine so erfolgreich waren, haben Winzer:innen im Rest von Österreich den schwer verkäuflichen Grünen Veltliner mit diesen Hefen versetzt, um ihm eine gewisse Grasigkeit zu geben. Der verkaufte sich dann gleich viel besser am Markt. Das Kuriose daran ist, dass solche Weine oft leichter bei den DAC Qualitätsweinverkostungen durchgekommen sind als spontan vergorene Weine derselben Rebsorte.
Weil die Wirkung dieser Hefen so massiv ist, sollte der Einsatz deklariert werden. Wer nun glaubt, dass das nur in Österreich passiert, sollte mal Weine aus Rueda, der Loire, Burgund, Rheinhessen usw. untereinander vergleichen. Ihr werdet staunen, ob der Ähnlichkeiten!
Ob beim Schwefeleinsatz eine Mengenangabe angeführt werden muss, ist nach unserer Information noch nicht klar. Vieles an diesem Gesetz ist noch nicht genau ausdefiniert, was vier Monate vor in Kraft treten, doch etwas verwunderlich ist. Doch gerade beim Schwefeleinsatz wäre eine wertmäßige Ausweisung äußerst wichtig. Schwefel ist neben Alkohol der gesundheitsschädlichste Inhaltsstoff im Wein und daher eine Entscheidungshilfe für die Konsument:innen.
Viele Dinge werden nicht ausgewiesen, die vielleicht aber sehr wichtig wären. Nach Spritzmittelrückständen wie Glyphosat zum Beispiel, welches man bei Bier in Laborversuchen schon nachweisen konnte, sucht man vergebens. Ob der Maische Zucker oder Oakchips hinzugefügt wurden, wären nicht ganz unwichtige Hinweise, aber zumindest Flüssigtannin muss ausgewiesen werden. Auch ob massive technische Hilfsmittel wie Spinning Cone, Cryoextraktion oder eine Wärmebehandlung bei der Weinbereitung eingesetzt wurden, könnte die Konsument:innen interessieren. Was noch nicht ist, kann aber noch werden.
Eine große Herausforderung der kommenden Deklarationspflicht wird der bürokratische Aufwand für die Winzer:innen. Die Infrastruktur der Labore muss geschaffen werden. Die genauen Regelungen sind diffus und kompliziert formuliert. Ohne Hilfe und Erklärungen ist das, vor allem für kleine Betriebe, mit vielen verschiedenen Weinen, kaum zu durchdringen.
Wir sind also schon sehr gespannt, wie das gelingen wird.
Unser Artikel ist nicht als wissenschaftliches Statement zur anstehenden Novelle des europäischen Weingesetzes zu verstehen, sondern als Aufruf, die Chance der Veränderung zu nutzen.
Ich möchte als Konsument nicht—egal ob bewusst oder unbewusst—hinters Licht geführt werden. Wir hoffen, dass es nicht (wie so oft) zu einer lächerlichen Farce verkommt. Es sollte dazu führen, dass Reinheit nicht nur eine Kategorie, sondern ein Qualitätskriterium beim Wein wird. Nur so könnten wir wirklich eine Idee von „Terroir“ bekommen. Denn dann wäre offengelegt, wie viel aus dem Reagenzglas kommt, und wieviel vom Weingarten und den Trauben. Santé!
ANHANG:
Liste zugelassener önologischer Verfahren und Behandlungen in der EU (2009):
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