Weinskandal Special pt.2: It's getting hot in here!

Weinskandal Special pt. 2: It's getting hot in here!

 

Ob Nelly sich 2002 mit seinem Song auf den Klimawandel bezog, bleibt fraglich - die ersten medial wahrgenommenen heißen Jahrgänge im europäischen Weinbau ereigneten sich jedenfalls um diese Zeit. 2000 und 2003 galten damals als Ausreißer - mittlerweile bewegt sich fast jedes Jahr auf diesem Niveau. Anfangs willkommen geheißen, gerade in den kühleren Regionen die früher um jeden Grad Zucker bangen mussten, sind die Auswirkungen der drastischen Veränderung bei vielen Winzer:innen allerdings erst 2018 so richtig spürbar geworden. Traubensonnenbrand, Traubenwelke. Mangelkrankheiten im Weingarten. Knapp vor der Ernte stiegen Mostgewichte innerhalb einer Woche ins Unermessliche - die Säure war dahin! Der pH-Wert hoch! Allgemeine Überforderung setzte ein.

Im Jura, Loire, Elsass, Burgund, aber auch in Italien und Österreich traten vermehrt Probleme bei der Gärung auf. Es entstanden Weine die oft stechend riechen, unpassend viel Restzucker haben. Unfertig wirken, irgendwie schlampig. Vor allem bei klaren Mosten, wo die Trauben sofort gepresst werden, ergaben sich diese Probleme. Diese direkt gepressten Weine ergeben den klassischen Weinstil, wie wir ihn kennen.

Verzögerungen in der Gärung passieren immer wieder. Doch wenn sie über einen längeren Zeitraum anhalten, besteht die Gefahr, dass Wein zu Essig wird. Also der Alptraum für die Winzer:innen. Diese Gärstopps sind das Hauptverkaufsargument für Reinzuchthefen und Hefenährsalze. Während also Europa jammerte, wurde in Deutschland das Hitzejahr indes von Journalist:innen zu einem der besten Jahrgänge des bisherigen Jahrhunderts hochgeschrieben! Endlich kräftige Weine!

Außerdem waren 2018 die Erträge riesig. Die Freude des Massenweinbaus unermesslich. Gelitten hatte dabei nur die Typizität. Halb so schlimm, mit ein bisschen Hilfe vom Labor geht das schon. Unpraktisch nur, dass die folgenden Jahre nicht wirklich kühler wurden. Jedes Jahr wurden neue Hitzerekorde gebrochen. Und auch in Deutschland zeigten sich mehr und mehr Probleme. Der Anfangs so hoch gepriesene 2018er Jahrgang war dann doch etwas üppig und oft müde. Was würde nur aus dem leichten Kabi werden?!

2022 kam es dann aber noch dicker - Gärprobleme zogen sich wieder quer durch Europa, fast niemand unserer Winzer:innen war davon nicht betroffen. Die gestressten Moste, gezeichnet von Dürre und Hitze, taten sich schwer. Dass dieses Problem auch massiv bei konventionell arbeitenden Betrieben auftrat, war neu. In der Loire, so erzählte uns  Zoé Puzelat, stoppten Moste vollgepumpt mit Reinzuchthefen und Hefenährstoffen ein paar Wochen nach der Lese aus unerklärlichen Gründen. Und wollten nicht mehr gären. Auch die Auswertungen der Labore kamen zu keinem klaren Entschluss - eigentlich sei alles vorhanden. Und trotzdem herrschte Stillstand!

Reagiert wird bisweilen auf die Wetterkapriolen mit steigendem Einsatz von Hilfsmitteln. Die Absatzzahlen der Spritzmittel steigen. Eine kurz gedachte Bewältigungsstrategie. Veränderungen brauchen immer ihre Zeit und erfordern Mut umzudenken. Ein Leben im Gestern ist nicht möglich!

Tom Lubbe von Matassa kennt Gärproblemen und hat über die Jahre seinen Stil anpassen müssen. Anpassen an Dürre und extreme Hitze. Im ersten Jahrzehnt der 2000er war das noch nicht so. Doch der Niederschlag im Roussillon beläuft sich nunmehr in vielen Jahren auf unter 300 mm pro Quadratmeter - die Region gilt damit klimatologisch als Wüste! Mittlerweile vergärt Tom fast alle Weine auf der Maische - ganze Trauben, mit Rappen - sanft mit den Füßen getreten und vorsichtig gepresst. Die Schalen und Stiele der Trauben enthalten mehr Nährstoffe und ermöglichen so ein Durchgären ohne Zusatzstoffe. Direkt gepresste Weine, wie zwischen 2000 bis 2010 sind heute fast nicht mehr möglich. Sie vergären langsamer, schwieriger, unsauberer und bleiben teilweise über Jahre süß. 2021 wagte er den direkten Vergleich, die Hälfte seines Grenache Blancs presste er direkt und die andere Hälfte vergor auf der Maische.

Die Maischeversion wurde gefüllt, verkauft, getrunken - die direktgepresste Variante liegt noch immer im Keller und gärt langsam vor sich hin, ob der Wein irgendwann einmal trocken wird, bleibt ungewiss. Und wer glaubt, dass dies nur den Süden betrifft, irrt. Christian Tschida erzählt mir einmal, dass er nichts mehr fürchtet, als vielleicht nicht mehr selbst entscheiden zu können direkt zu pressen, oder nicht!

Von Sommelièren und Sommeliers hört man neuerdings vermehrt: „Mineralisch, straff, salzig ist in!“ Gut, sage ich! Doch woher sollen diese Weine kommen? Die Verschiebung des Breitengrades hat sich nicht als Lösung herausgestellt. Südengland ist nicht die neue Champagne und Dänemark nicht die Mosel. Es entstehen dort neue Gebiete mit ähnlichen Bedingungen, aber nicht Bedingungen, wie früher. Für dieses Resultat benötigen wir keine neuen Weinbaugebiete.

In den letzten 10 Jahren war es im Burgund, dem Inbegriff für salzig mineralische Weine, nur in 2021 und 2016 so kühl, wie im langjährigen Durchschnitt. Julien Labet aus dem benachbarten Jura machte im Hitzejahr 2018 einen Chardonnay auf der Maische! Raunen ging durch Fangemeinde. Jetzt macht der auch einen „Orange!“. Einige Kund:innen schrieben, das ist ja kein richtiger Jura Wein! So leid es mir tut, gelten die Auswirkungen auch für uns als Konsument:innen. Julien hätte lieber einen direkt gepressten Chardonnay gemacht, doch hatten die Trauben einen potenziellen Alkohol von 16 Vol%. Die andere Lösung ist, durch Zusatz von Stoffen, die Geschmäcker dieses gewünschten aber nicht mehr zu erzielenden Weinstils zu faken.

Weil wir Veränderung nicht akzeptieren, lassen wir uns im großen Stil verarschen, fordern wir Winzer:innen offen zum Betrug auf! Das passiert heute massiv im Burgund. Weil es hier um viel Geld geht. Mit Burgund haben diese Weine nur wenig zu tun, vielmehr mit genialen Önolog:innen und ihren Hilfsmitteln. Aber es kann nicht die Lösung sein, dass wir wieder am Anfang der Geschichte angekommen sind! Wir müssen bleiben wo wir sind und unsere Welt neu denken. Wie das aussehen könnte, beleuchten wir das nächste Mal!


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